Ex-Trainer Bruno Labbadia „Meine Zeit beim VfB war eine absolute Erfolgsgeschichte“

Marko Schumacher 
Bruno Labbadia hat in Stuttgart Spuren hinterlassenGetty

Im Spiel VfB Stuttgart beim VfL Wolfsburg kommt es zum Wiedersehen mit Bruno Labbadia. Im Interview spricht Labbadia über die Stürmer Mario Gomez und Daniel Ginczek sowie seine Lehren aus der Stuttgarter Zeit.

Stuttgart - Von Dezember 2010 bis August 2013 war Bruno Labbadia Trainer des VfB Stuttgart. Nun gibt es ein Wiedersehen mit dem Mann, dem noch nie jemand vorwerfen konnte, kein disziplinierter und gewissenhafter Arbeiter zu sein. Zum Interviewtermin bittet der 52-Jährige am Sonntagmorgen um halb acht.

Herr Labbadia, Sie haben das Drama um den Vater von Christian Gentner mitbekommen. Wie sehr trübt sein Tod im Stadion Ihre Vorfreude auf das Spiel gegen den VfB?

Es hat natürlich auch mich sehr betroffen gemacht, was da am Samstag passiert ist. Das sind Momente, in denen man merkt, wie unbedeutend der Fußball eigentlich ist. Ich wünsche Christian, seiner Familie und auch dem VfB die nötige Kraft, diese Tragödie zu verarbeiten. Der Tod gehört zum Leben leider dazu, und es muss trotz allem weitergehen. Auch wenn das für die Hinterbliebenen nicht immer einfach ist.

Dann reden wir jetzt trotzdem übers Sportliche: Wer ist der bessere Stürmer – Mario Gomez oder Daniel Ginczek?

Beide sind absolute Topstürmer mit Riesenqualitäten. Mario hat über Jahre bewiesen, dass er ein toller Torjäger ist. Und Daniel ist einer, dem ich auch in Zukunft noch extrem viel zutraue. Ich bin sehr glücklich, dass er bei uns spielt.

Wiedersehen mit dem Ex-Club – das sagt Daniel Ginczek

In Stuttgart gibt es nicht wenige, die ihn vermissen.

Das glaube ich gerne. Er ist nicht nur ein guter Stürmer, er ist auch ein extrem guter Typ und bereichert die Mannschaft ungemein. Ich verfolge ihn bereits seit Jahren und hatte immer wieder gehofft, dass ich ihn mal in meiner Mannschaft habe, ganz egal, wo ich war. Im Sommer hat es zum Glück geklappt.

Labbadia über den Transfer von Daniel Ginczek

Er ist vom Tabellensiebten aus Stuttgart zum Fast-Absteiger nach Wolfsburg gewechselt. Beim VfB heißt es, das ging nur übers Geld.

Nein. Aber eines ist doch klar: wir hätten bei Profis zwar immer gerne Herzblut und volle Identifikation mit dem Verein, am besten jahrelang. Doch haben sich die Zeiten geändert. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Daher ist für mich immer entscheidend: Was macht einer in der Zeit, in der er hier ist? Gibt er alles? Ich hatte ein langes Gespräch mit Daniel und habe ihn gefragt: Was sind deine Beweggründe, den VfB zu verlassen?

Was hat er geantwortet?

Bei uns hat er die Chance gesehen, einen Club wieder nach oben zu führen. Das kann sehr reizvoll sein. Zudem wollte er nach seiner Verletzungsgeschichte ein Umfeld, in dem er sich ganz auf den Fußball konzentrieren kann. Auch das ist beim VfL gegeben. Daniel fühlt sich hier sehr wohl.

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Hat Sie seine Verletzungshistorie gar nicht abgeschreckt?

Wir wussten, dass das nicht unproblematisch ist. Unser gemeinsamer Plan war, ihn langsam aufzubauen. Ich habe ihn daher anfangs mehr als Joker gebracht – wusste aber, dass er irgendwann stabil genug sein würde, um von Beginn an zu spielen. Das ist jetzt der Fall. Er ist topfit und zeigt, was er drauf hat. Und ich bin sicher: da wird sogar noch mehr kommen.

Daniel Didavi ist mit seinen vielen Verletzungen ein ähnlicher Fall. Er ist im Gegenzug im Sommer von Wolfsburg zum VfB gewechselt. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, ihn abzugeben?

Daniel war unser bester Torschütze, so einen gibt man nicht gerne her. Aber er wollte sich nach zwei Jahren in der Relegation unbedingt verändern. Für mich war klar: Ich brauche Spieler, die unseren Weg bedingungslos mitgehen. Deshalb haben wir seinem Wunsch entsprochen.

Labbadia über sein Image als Feuerwehrmann

Womöglich ahnten Sie ja bereits, dass ihn seine Achillessehnenbeschwerden noch eine ganze Weile begleiten werden. Er hat in der Liga in dieser Saison erst fünf Spiele bestreiten können.

Das hatte ich nicht erwartet. Es tut mir leid für ihn, weil er ein toller Spieler ist, der aufgrund seiner Verletzungen nicht immer umsetzen kann, was in ihm steckt.

Der VfL gehört nach zehn Punkten aus vier Spielen zu den Teams der Stunde. Inzwischen träumen die Fans sogar vom Europapokal, nachdem sie Ihr Kommen zu Beginn noch äußerst kritisch begleitet hatten. Wie gehen Sie mit diesen extremen Stimmungsschwankungen um?

Ach, schauen Sie: Wenn Sie mit dem HSV im Relegationsspiel gegen den KSC bis zur 89. Minute abgestiegen sind und es dann doch noch schaffen, wenn Sie den VfB nach zwölf Punkten in der Winterpause noch vor dem Abstieg retten und auch mit Wolfsburg die Relegation überstehen – dann kann einen nichts mehr schocken. Es kann sich kaum einer vorstellen, wie viel Anspannung solche Situationen beinhalten und wie viel Kraft sie kosten. Das sind Stahlbäder. Wenn Sie das überstehen, gehen Sie gestärkt daraus hervor.

Zahlen, Daten, Fakten: Wolfsburg gegen Stuttgart –das ist die Bilanz

Ihr Karriereplan dürfte ursprünglich aber nicht vorgesehen haben, immer nur den Feuerwehrmann zu geben.

Bevor ich zum VfB kam, hatte ich nur mit Mannschaften gearbeitet, die ich im vorderen Drittel etabliert habe: Darmstadt 98, Greuther Fürth, Bayer Leverkusen, Hamburger SV. Doch erst durch den überstandenen ersten Abstiegskampf mit dem VfB bin ich zu einem kompletten Trainer geworden.

Das müssen Sie erklären.

Es ist ein ganz anderes Arbeiten, vor allem bei einem Traditionsverein, bei dem so viel dranhängt. Wenn man das geschafft hat, ist es eine große Bereicherung, denn man weiß: man kann es auch unter dem größten Stress schaffen, ruhig zu bleiben und die Mannschaft zu erreichen. Ein weiteres Mal muss ich das trotzdem nicht mehr erleben.

Labbadia über seine Zeit beim VfB

Zögern Sie auch deshalb, Ihren Vertrag zu verlängern?

Ich bin ein freiheitsliebender Mensch und möchte nur noch das machen, wovon ich total überzeugt bin. Ich will den Fußball spielen können, der mir vorschwebt. Diese Gegebenheiten müssen da sein – daher will ich erst einmal sehen, wo unsere Entwicklung in den nächsten Monaten hingeht.

Beim VfB waren Sie knapp drei Jahre lang tätig – im gleichen Zeitraum haben die Stuttgarter anschließend sechs verschiedene Trainer beschäftigt und sind schließlich abgestiegen. Auch das eine Bestätigung für Sie?

Das ist für mich keine Genugtuung, wenn Sie das meinen. Aber vielleicht hat ja der eine oder andere im Nachhinein erkannt, dass das, was ich immer gesagt und getan habe, doch nicht so falsch war. Für mich war schon unmittelbar nach meinem Aus klar: Das war eine absolute Erfolgsgeschichte.

Sie haben mit dem VfB das Pokalfinale und zweimal den Europacup erreicht – trotzdem hieß es immer, da müsse noch mehr kommen.

Ich habe sehr gerne beim VfB gearbeitet. Aber natürlich gab es Phasen, in denen ich gemerkt habe, dass viele die Situation nicht realistisch einschätzen. Wir mussten in dieser Zeit den Etat um fast 20 Millionen Euro runterfahren. Als ich kam, hatten wir eine namhafte Mannschaft – und mussten dann immer wieder unsere besten Spieler abgeben.

Wie frustrierend war das?

Das war teilweise zermürbend. Ich habe der Vereinsführung gesagt: ich presse die Mannschaft aus, so kommen wir irgendwann nicht mehr weiter. Nach dem zweiten Jahr, in dem wir Sechster wurden, habe ich gesagt: Jetzt müssen wir dranbleiben und investieren. Aber es wurde immer weiter gekürzt – die Erwartungshaltung aber blieb unverändert hoch.

Labbadia über die Zukunft des VfB

Das hat sich bis heute nicht grundlegend verändert. Der Hauptgrund für die ständige Unruhe, die den VfB noch immer begleitet?

Gerade bei einem Traditionsclub passt das Anspruchsdenken nicht immer mit den vorhandenen Möglichkeiten zusammen. Das führt zu permanenten Personalwechseln – bei den Managern, den Trainern und Spielern. Und das erschwert es, Kontinuität reinzubringen. Das Wichtigste in einem Verein ist, dass es an der Spitze ein paar Köpfe gibt, die zusammenhalten und geschlossen auftreten. Das merkt eine Mannschaft ganz genau.

Jetzt steht der VfB wieder weit unten, ist sich aber sicher, dass die Mannschaft gut genug ist, die Liga zu halten. Wie überzeugt sind Sie?

Es ist grundsätzlich immer ein bisschen gefährlich, wenn man sagt, die Mannschaft sei eigentlich viel besser als ihr Tabellenplatz. Aber auch ich glaube, dass der VfB von seinen Namen her stärker ist als andere Mannschaften, die unten drinstehen. Und ich wünsche mir, dass der VfB in der Liga bleibt – auch wenn die drei Punkte jetzt hoffentlich in Wolfsburg bleiben.