Sie machen aus ziemlich wenig erstaunlich viel. Aus der Stammtischmannschaft von einst erwuchs ein Profiklub mit Beharrungsvermögen. Auch vor der fünften Spielzeit in der Dritten Liga gilt die SG Sonnenhof-Großaspach als Abstiegskandidat.
Stuttgart - Vielleicht ist es mit der SG Sonnenhof-Großaspach ja wie mit einer seltenen Pflanze: Sie gedeiht nur an besonderen Orten. Unter ganz speziellen Bedingungen. „Da ist vermutlich was dran“, sagt Andreas Benignus, 37, und vergräbt dabei die Hände so tief in den Taschen, als wolle er bedeuten: Für Ausflüge in Flora und Fauna ist jetzt keine Zeit. Gleich ist das Training zu Ende. Der Sprecher des Vorstands steht mit einem Fuß schon auf dem Ball. Elferschießen mit dem Physio, dem Co-Trainer, dem Marketingchef und wer sonst noch Lust hat. „Ein bisschen Spaß muss sein“, sagt Andreas Benignus, bei aller Ernsthaftigkeit, die das Trainingslager im bayerischen Miesbach erfordert. Es ist ja nicht so, dass der Exot der dritten Liga verschwenderisch umgehen könnte mit seinen wenigen Ressourcen. Die SG Sonnenhof-Großaspach bereitet sich vor auf ihre fünfte Spielzeit in der dritthöchsten Liga. „Und wie immer tippen alle, dass wir zu den Abstiegskandidaten zählen“, erzählt Trainer Sascha Hildmann, kickt einen Ball vom Feld und brummt: „Das glaubt sogar mein Vater.“
Vier Teams müssen absteigen
Nun sind Väter von Natur aus skeptisch, was ihre Söhne anlangt. Und der frühere Fußballprofi Sascha Hildmann wäre nicht der erste Sprössling, der schon deshalb einen guten Job macht, weil er dem Senior eine lange Nase drehen will. Aber das Vorhaben, mit dem sparsamen Dorfclub aus der schwäbischen Provinz gegen die Rockefellers der dritten Liga zu punkten, gleicht ein wenig dem Versuch, mit einer Laubsäge den Schwäbischen Wald zu roden. Diesmal noch mehr als sonst. Der 1. FC Kaiserslautern und Eintracht Braunschweig wollen in die zweite Liga zurück. Auch der KSC, TSV 1860 München, KFC Uerdingen und SV Wehen Wiesbaden hegen Aufstiegspläne. Und vier von den zwanzig Teams steigen am Ende ab.
„Es wird verdammt schwer“, bestätigt Joannis Koukoutrigas, im Hauptberuf Geschäftsführer der Spielerberatung Fair Sport. Aber erstens sagt er das immer, und zweitens bedeutet das nicht, dass er vor der Saisonpremiere bei Carl Zeiss Jena an diesem Samstag nächtens aus Gram in sein Kissen weint. Zwar rechnet die SG mit einem Mini-Etat von alles in allem 3,2 Millionen Euro, aber Janni, wie sie ihn alle rufen, hat das, was sie bei der SG das goldene Händchen für Spieler der zweiten Chance nennen. Der ehrenamtliche SG-Sportchef beschreibt es so: „Ich suche Jungs, die unter dem Radar laufen.“ Weil sie längere Zeit verletzt waren oder mit dem Trainer nicht klarkommen. Meistens ist es eine Mischung aus mehreren Faktoren. Janni Koukoutrigas aber blickt den Spielern tief in die Augen und versichert: „Wir päppeln dich wieder auf.“
Zwischen 1500 und 3000 Euro im Monat
Reich ist bei der SG allerdings noch keiner geworden, die Stimmung ist auch nicht gerade so wie an der Liverpooler Anfield Road. Und der Medienandrang hält sich in Grenzen. Durchschnittlich 1900 Zuschauer besuchen die Heimspiele in der Mechatronik-Arena im Fautenhau, die „Backnanger Kreiszeitung“ berichtet regelmäßig, ein Livestream der Telekom überträgt die Partien, und in seltenen Fällen kommt die ARD mit der „Sportschau“. Die Spieler verdienen im Monat zwischen 1500 und 3000 Euro. Zwei, drei Akteure noch ein paar Kreuzer mehr. Es gibt Spieler, die nebenbei studieren oder eine berufliche Ausbildung machen. Das duale System ist seit jeher ein wichtiger Teil der Vereinsphilosophie. Abwehrmann Julian Leist etwa macht eine Lehre als Groß- und Außenhandelskaufmann. Er sagt: Wichtiger als das Geld sei das Sprungbrett, das der Verein biete. Beruflich und sportlich.
Wer im deutschen Fußball nach brauchbaren und bezahlbaren Spielern forscht, sucht immer auch in Großaspach. „Wir sind ein Aus- und Weiterbildungsverein“, sagt Vorstandsmitglied Philipp Mergenthaler, „und daran wollen wir auch nichts ändern.“ Was bedeutet: Nach jeder Spielzeit packen bis zu einem Dutzend Spieler wieder die Koffer. Diesmal darunter: Torjäger Saliou Sané, der zum Karlsruher SC wechselt. Angeblich für das dreifache Gehalt. Oder Abwehrmann Özgür Özdemir, dessen Dienste sich der 1. FC Kaiserslautern sicherte.
Kein großes Tamm-tamm
Es ist eben alles ein bisschen anders bei der SG Sonnenhof-Großaspach als sonst im Profifußball. Der Verein erwuchs aus einer Stammtischmannschaft um den Hotelier und Spielerberater Uli Ferber und dessen Bruder Klaus. Ende der siebziger Jahre kickten sie mit Erfolg in der württembergischen Freizeitliga, 1985 meldete sich der FC Sonnenhof Kleinaspach zum Spielbetrieb in der Kreisliga B an. 1994 fusionierte der FC mit der SpVgg Großaspach. Der Rest ist eine (Erfolgs-)Geschichte. „Wir sind organisch mit dem Ausbau unserer Strukturen gewachsen“, sagt Philipp Mergenthaler. Was bedeutet: Ein Abstieg ist nicht gleichbedeutend mit einem Weltuntergang, eine sportliche Durststrecke keine Katastrophe. Für den Spieler nicht und auch nicht für den Trainer.
„Du kannst hier noch in Ruhe arbeiten, wenn in anderen Vereinen längst der Teufel los wäre“, bestätigt Trainer Sascha Hildmann und sagt mit einem Grinsen: „Aber beim Brötchenholen fragt dann schon mal jemand: Coach, wann gewinnen wir mal wieder?“ Sascha Hildmann meint, dass hier alles ein bisschen enger ist, aber auch menschlicher und weniger aufgeregt als andernorts. Man könnte sagen, es ist Fußball nach Hausmacherart. Ein bisschen so wie früher. Kein großes Tam-tam. Bierchen aus der Region, rote Wurst vom Holzkohlegrill. Ein unterhaltsamer Kick. Passt.
Stolz auf den Dorfklub
Das Dorf zählt 8000 Einwohner. Jeder kennt jeden. Und so ähnlich gilt das auch für den Verein. Er verströmt den Charme der Provinz, wirkt aber keine Spur hinterwäldlerisch. Er arbeitet professionell und modern, legt jedoch großen Wert auf eine unverfälschte Fußball- und Vereinskultur. „Respekt, Anstand, Herzblut, Leidenschaft und die Freude am Fußball stehen immer im Vordergrund“, sagt Andreas Benignus. Die Spielgemeinschaft ist noch immer ein e. V., also ein eingetragener Verein und keine Kapitalgesellschaft. Die meisten der fast 1000 Mitglieder stammen aus der Region, ebenso die 120 Sponsoren. Man begnügt sich mit zehn hauptamtlichen Mitarbeitern und zählt bei jedem Spiel auf die Unterstützung von fünfmal so viel ehrenamtlichen Helfern. Mindestens. Sie firmieren stolz wie Bolle unter „Dorfclub“. Clever wie sie sind, ließen sie sich die Marke sogar patentieren. Die Maskottchen hören auf die Namen Andile und Berndle. Dorfesel, die bei Heimspielen friedlich vor sich hin äpfeln. Den Bau der 14 Millionen Euro teuren Mechatronik-Arena (10 001 Zuschauer) ermöglichte ein Investorenmodell, unter ihnen Fußballgrößen wie Mario Gomez und Alexander Hleb. Und die Fautenhau-Alm, das rustikale Clubheim mit Balkon und Terrasse, öffnet den Blick auf den Schwäbischen Wald.
Das alles rechnet sich nicht allein durch den Fußball. Und nur, wenn alles irgendwie ineinander greift. Das Stadiondach ist eine riesige Fotovoltaikanlage, unter der Gegentribüne liegt eine 1,2-Millionen-Kubikmeter-Zisterne, die den Rasen bewässert. Die Fautenhau-Alm dient einem Lebensmittelkonzern als Fort- und Ausbildungszentrum, sie bietet Platz für Firmenfeste und Hochzeiten, und einmal im Jahr platzt alles aus allen Nähten: beim Heimspiel von Schlagerstar Andrea Berg. Sie ist die Ehefrau von Uli Ferber. Die Familie betreibt die Sonnenhof-Hotelerie, Fair-Sport-Marketing berät Fußballgrößen wie Mario Gomez, Joshua Kimmich oder Bernd Leno. Und etliche Mitarbeiter auf der Ferber-Gehaltsliste leisten ehrenamtliche Hilfe beim Drittligisten. „Das alles hier muss man sich vorstellen wie ein lebendiges Netzwerk“, erläutert Andreas Benignus, „wir helfen alle zusammen. Davon profitiert die ganze Region.“
Kritiker, die ihre Ruhe wollen
Das sehen naturgemäß nicht alle so. Zuletzt gab es Ärger, weil U-19-Spieler der SG ehrenamtlich den Stadionrasen fürs Konzert von Andrea Berg abdecken sollten. Kritiker monieren immer mal wieder verstopfte Straßen, Polizeieinsätze, Lärm und Dreck, bisweilen vermuten sie sogar Vetterleswirtschaft. Lustig findet das SG-Aufsichtsrat Uli Ferber nicht, aber er hat sich damit arrangiert. „Es gibt einige wenige Leute, die das nicht gut finden, was wir hier alles aufgebaut haben“, sagt er, „das ist bedauerlich, aber wohl nicht zu ändern.“
Bundesweit reagiert die Konkurrenz jedenfalls mit ehrfürchtigem Staunen auf die Bilanz des Dorfclubs mit dem Image des sympathischen Außenseiters. Weshalb die Anhänger einer regional tief verwurzelten Fußball-Kultur ihr Pflänzlein bei der SG weiter hegen und pflegen. In einem der letzten Biotope des deutschen Profifußballs.