Analyse zu VfB-Abräumer Santiago Ascacibar – der argentinische Pitbull

Philipp Maisel

Santiago Ascacibar ist einer der wenigen Lichtblicke beim VfB Stuttgart. Taktikexperte Jonas Bischofberger hat den argentinischen Pitbull genau unter die Lupe genommen. Eine Analyse.

Seit seiner Ankunft im Sommer 2017 ist Santiago Ascacibar eine der tragenden Säulen beim VfB. Als unermüdlicher Kämpfer vor der Abwehr verleiht er seiner Mannschaft Stabilität und Aggressivität zugleich. Außerdem konnte er während seiner Zeit in Deutschland sein Spiel mit dem Ball kontinuierlich verbessern. Eine Entwicklung, die ihn zuletzt bis in die argentinische Nationalmannschaft führte.

Der aggressive Stabilisator

Entscheidend für Ascacibars herausragendes Defensivspiel ist zunächst einmal die konditionelle Basis. Er ist ungemein ausdauernd und in der Lage, 90 Minuten Vollgas zu gehen. In den Laufstatistiken liegt er regelmäßig über der 12-Kilometer-Marke, ligaweit spult er pro Spiel die drittmeisten Meter ab. Wenn Ascacibar also eine Gefahr erkennt, kann er den nötigen Weg auch fast immer machen. So taucht er permanent dort auf, wo es gerade brennt, auch wenn er dafür weit laufen muss. Besonders im Strafraum ist er immer wieder präsent und unterstützt die Abwehr, wenn die Schnittstellen zu groß werden oder ein gegnerischer Mittelfeldspieler überraschend in die Tiefe startet.

Ascacibar ist ein Spieler, der sich beim Verteidigen eher nach hinten orientiert und schaut, wo er Lücken stopfen und Mitspieler absichern kann. Auch im Zweikampf versucht er im ersten Moment eher den Gegner aus den Räumen herauszudrängen und nicht immer sofort in die Balleroberung zu gehen. Das hängt auch damit zusammen, dass seine Reichweite im direkten Duell durch seine kurzen Beine etwas eingeschränkt ist. Das gleicht er mit seiner Beweglichkeit, seinem Antritt und seiner Bissigkeit wieder aus. Er kann rapide auf Richtungsänderungen des Gegners reagieren und damit ständig an ihm kleben bleiben. Kurzum: Es ist unglaublich schwer, an Santi Ascacibar vorbeizukommen.

Somit verleiht der Argentinier seiner Mannschaft eine Menge Stabilität. Auch in ungemütlichen Phasen, etwa wenn die Pressingmechanismen mal nicht greifen oder der Gegner taktisch besser eingestellt ist, kann er immer noch ein bisschen was reparieren. Nicht zuletzt deshalb blieb er beim VfB auch in sehr unterschiedlichen Pressingsystemen stets eine Konstante.

Mit Ball: Gute Momente aber noch keine Verlässlichkeit

Reduziert man Ascacibar vollständig auf seine Abräumer-Qualitäten, tut man ihm ein wenig Unrecht. Dennoch hat er hier seine Schwächen. Ascacibars erster Kontakt und vor allem seine Passtechnik sind relativ unsauber. Die Zuspiele streuen also recht stark in Präzision und Gewichtung. Zudem kann er nicht immer alle möglichen Optionen anspielen und seine Bälle sind nicht so leicht zu verarbeiten. Auch scheint er Probleme in der Vororientierung zu haben: Teilweise macht er nach der Ballannahme mehr oder weniger die erstbeste Aktion, die ihm einfällt, anstatt die Bälle durchdacht zu verteilen. Damit bringt er Unruhe ins Aufbauspiel. Dass er es trotz dieser Schwächen geschafft hat, beim VfB weitgehend stabil und fehlerfrei zu spielen war ein wichtiger Schritt in seiner Entwicklung.

Auch wenn die Basis nicht immer auf stabilen Füßen steht, so konnte Ascacibar am Ball schon immer für einzelne Glanzlichter sorgen. Er ist zum Beispiel ein verhältnismäßig guter Dribbler und kann sich punktuell mit dynamischen Antritten aus engen Situationen lösen. Wenn möglich treibt er die Bälle mit Tempo nach vorne und spielt druckvolle Pässe zwischen die Linien. Sofern angebracht rückt er auch selbst mit auf. Potentiell kann er den Angriffen damit sehr viel Zug mitgeben.

Während seiner Zeit beim VfB hat sich Ascacibar spielerisch stetig gesteigert. Sein Passspiel ist inzwischen stabiler geworden und damit scheinen bei ihm mentale Ressourcen für die Entscheidungsfindung freigeworden zu sein. Mittlerweile übernimmt er mehr Verantwortung für das Offensivspiel, wägt seine Aktionen besser ab und findet eher den richtigen Pass für die Situation. Beispielsweise spielte er zuletzt den einen oder anderen langen Diagonalball – eigentlich eine absolute Seltenheit bei ihm. Bis er ein verlässlicher Anker im Aufbauspiel sein kann, wird er wohl trotzdem noch ein paar Entwicklungsschritte brauchen, doch die Tendenz stimmt.

Wer ist der ideale Nebenmann für Ascacibar?

Der kleine Argentinier ist beim VfB klar gesetzt. Aber wer ist dann der optimale Nebenmann für ihn? Mit seiner defensivstarken Spielweise passt Ascacibar zu allen anderen VfB-Sechsern erst einmal sehr gut. Christian Gentner, Gonzalo Castro und Dennis Aogo sind Spieler, die sich eher über die Offensive und das Spiel mit dem Ball definieren. Mit Aogo bildet er wohl das flexibelste Mittelfeldzentrum. Während Aogo die Bälle auf sich zieht, kann sich Ascacibar etwas zurückhalten. Aogo verteilt die Bälle in die Breite, Ascacibar spielt sie in die Tiefe. Je nach Situation kann einer von beiden mit nach vorne gehen, während der andere absichert.

Mit Castro oder Gentner als Partner ist die Aufteilung klarer. Ascacibar ist dann der tiefere Sechser und sichert ab. Speziell Gentner profitiert von den Freiheiten, die er dadurch bekommt und kann weit aufrücken. Ein Problem in dieser Konstellation ist, dass sowohl Castro als auch Gentner wegen Ascacibars Zurückhaltung dazu neigen, übermäßig viele Aufgaben im Spielaufbau zu übernehmen, was eigentlich nicht ihre Stärke ist. Wichtig wäre also, dass diese Verantwortung in diesem Fall eher von den Innenverteidigern geschultert wird.

Der Musterprofi

Die Analyse zeichnet das Bild eines überaus engagierten Fußballspielers, der alle defensiven Wege mitgeht und das Spiel nach vorne entwickeln will. Am wichtigsten aber: Er scheint konsequent an sich und seinen Schwächen zu arbeiten. Mal sehen, wie weit ihn diese Einstellung noch tragen wird.