OB Fritz Kuhn zum Feinstaubalarm „Es wirkt nur der Abschied vom Verbrennungsmotor“

Konstantin Schwarz 
Laut OB Fritz Kuhn müssen er und andere Oberbürgermeister Probleme ausbaden, die die Autoindustrie, der Bund und die EU den Städten beschert haben.Lichtgut/Leif Piechowski

Wenn der freiwilige Feinstaubalarm nicht reicht, gibt es laut OB Kuhn im nächsten Jahr verbindliche Maßnahmen bis hin zu Fahrverboten. „Wenn wir nicht auf die E-Mobilität setzen, ist der Exporterfolg gefährdet“, sagt das Stadtoberhaupt.

Stuttgart - Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) hält den freiwilligen Feinstaubalarm in Stuttgart für ein effektives Mittel, um die zu hohen Feinstaub- und Stickstoffdioxidwerte zu senken. Wenn der Alarm nicht ausreiche, müssten allerdings bis Anfang 2018 verbindliche Maßnahmen folgen. Darüber entscheide das Land im Frühjahr 2017.

Herr Kuhn, der Feinstaubalarm wirkt nicht. Auch an Alarmtagen sind die Grenzwerte überschritten. Was läuft falsch?
Ich bestreite, dass der Alarm nicht wirkt. Er ist ein effektives Instrumentarium zur Vorhersage austauscharmer Wetterlagen. Es gibt Leute, die umsteigen, und welche, die weniger Auto fahren. Das verbilligte Feinstaubticket wird stark genutzt.
Aber liegen die ermittelten drei Prozent Rückgang des Autoverkehrs nicht im Bereich statistischer Ungenauigkeit?
Es sind laut Verkehrsleitzentrale zwischen drei und bis zu sechs Prozent. Wie viele ihr Auto in Stuttgart tatsächlich nicht nutzen, wird nicht erfasst. Der Alarm ist aber ein großes Thema. Das Bewusstsein, dass wir weniger Verkehr in der Stadt brauchen, wird geschärft. Porsche hat Job- und Feinstaubticket eingeführt, Bosch ein Feinstaubticket, Daimler ein Jobticket, um nur die Großen zu nennen.
Die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide gelten seit vielen Jahren. Tun Sie genug für den Schutz der Menschen?
Ich bin der Erste, der richtig massiv etwas tut. Mir macht die Gesundheitsbelastung Sorge. Wir reagieren mit über 40 Maßnahmen, auch mit Kapazitätserhöhungen bei S- und Stadtbahn. Wenn freiwillige Maßnahmen nicht ausreichen, muss es verbindliche geben. Welche das sein werden, entscheidet das Land im Frühjahr 2017.
Selbst wenn der Feinstaubalarm greifen sollte, wäre das Jahreslimit für Stickstoffdioxid immer noch stadtweit überschritten.
Beim Stickstoffdioxid liegen wir anders als beim Feinstaub an vielen Stellen über dem Limit. Der Alarm hilft auch dagegen. Ansonsten wirkt nur der Abschied vom Verbrennungsmotor. Das Schadstoffproblem ist nur in den Griff zu bekommen, wenn die Elektromobilität rasch wächst und mehr Leute auf den Nahverkehr umsteigen.

Maßnahmen kommen im Frühjahr 2017

Was passiert, wenn der freiwillige Feinstaubalarm nicht ausreicht?
Das Feld ist abgesteckt. Entweder werden die Grenzwerte 2017 eingehalten, oder das Land reagiert ordnungspolitisch bis hin zu Verboten. Wir können aber die City nicht zumachen. Ich muss ökologische und wirtschaftliche Fragen beachten.
Arbeitet das Land schon an einem Ausnahmekatalog von Fahrverboten?
Das Land prüft alles, was zu einer Einhaltung der Werte auch bei den Stickoxiden zum 1. Januar 2018 führen könnte. Die Maßnahmen besprechen wir gemeinsam. Antworten gibt es im ersten Quartal 2017.
Fällt dann auch die Entscheidung über Fahrverbote für Dieselfahrzeuge?
Jedenfalls müssen wir rechtzeitig wissen, was kommen kann. Denn es gibt ja Vorlaufzeiten für eine Umsetzung in der Stadt.
Die Klage der Deutschen Umwelthilfe wird Anfang 2017 vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht verhandelt. Wäre es nicht bequem für die Politik, wenn die Richter – wie in Düsseldorf – Fahrverbote für umsetzbar erklären würden?
Das Düsseldorfer Urteil wird im nächsten Jahr höchstrichterlich geprüft. Wir werden sehen, was das für Rückwirkungen auf Stuttgart hat. Im Übrigen, die blaue Plakette ist von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt verweigert worden. Sie würde einiges bei den Stickoxiden verbessern. Dobrindt sagt stattdessen, dass wir die Stadt dichtmachen und dann mit Ausnahmen bestimmen sollen, wer trotzdem reinfahren darf, und zwar verhältnismäßig und rechtssicher. Jetzt arbeitet das Land an der Frage, was von dem Dobrindt-Vorschlag geht und was vergiftet ist.
Kann der Nahverkehr denn alle Pendler ohne Auto befördern?
Wir müssen die öffentliche Infrastruktur laufend verbessern. Das ist das A und O. Ohne das geht gar nichts, und ohne eine pünktliche S-Bahn wird der Umstieg für viele Pendler sehr schwierig. Wir bauen die Stadtbahn aus. Die U 12 fährt von September 2017 an von Dürrlewang als zentrale Linie durch die Stadt bis Remseck. Und wir haben die Linie 19 neu geschaffen und die Linie 13 verstärkt. Die VVS-Tarifklausur im Januar beschäftigt sich mit der Frage, wie wir das 9-Uhr-Umweltticket attraktiver machen können. Damit es mehr Platz im Berufsverkehr gibt, müssen wir schauen, dass mehr Leute Bus und Bahn nach der Hauptverkehrszeit nutzen.
Stört Sie das Verhalten der Autoindustrie?
Die Industrie hat die Verbraucher extrem verunsichert. Es wurden Motoren manipuliert, um Grenzwerte einzuhalten. Die Lobbypolitik der Hersteller im Pakt mit Frau Merkel hat der deutschen Autoindustrie sehr geschadet. Es wurde das Gefühl verbreitet, man könne Brüssel in die Tasche stecken. Manchmal schadet zu starker Lobbyismus für die alte Technologie dem Durchbruch der neuen. Die Oberbürgermeister in Deutschland haben alle wegen der Probleme, die ihnen die Automobilindustrie, der Bund und die EU beschert haben, einen Hals. Denn die Städte müssen die Probleme ausbaden, die andere verursacht haben.

Ohne E-Mobilität keine Exporterfolge

Der Strukturwandel vom Verbrennungsmotor zum E-Triebwerk löst in der Autostadt Stuttgart große Zukunftsangst aus. Was sagen Sie den Beschäftigten?
Es gibt solche Ängste. Aber wenn wir nicht auf die E-Mobilität setzen, ist der Exporterfolg gefährdet. Die Chinesen werden eine Quote für E-Autos einführen. Das zeigt, dass man in der globalisierten Ökonomie am umweltfreundlichen Fahrzeug nicht vorbeikommt. Wir müssen zusammen mit der Automobilindustrie den Strukturwandel in Stuttgart gut organisieren.
Im Koalitionsvertrag fördert Grün-Schwarz bereits den Kauf von Stadtbahnen. Von Geld ist dort allerdings keine Rede. Wann gibt es Zuschüsse für die SSB und andere Verkehrsunternehmen im Land?
Da zeichnet sich noch keine Lösung ab. Ich habe zusammen mit anderen OBs einen Brief an den Ministerpräsidenten geschrieben. Die Antwort steht aus. Es muss klar sein, dass man die Schieneninfrastruktur mit öffentlichen Mitteln ausbauen muss, wenn man saubere Luft haben will.
Wie sieht der Verkehr in Stuttgart in vier Jahren aus?
Dann haben wir einen stärker ausgebauten Nahverkehr und den Fuß- und Radverkehr verbessert. Und es kommen deutlich weniger Autos in den Kessel.
Und wie sieht der Verkehr am Ende Ihrer zweiten Amtsperiode aus?
Ob ich mich für eine zweite Amtsperiode bewerbe, werde ich etwa ein Jahr vor Ablauf der ersten entscheiden. Damit ist diese Fangfrage abgearbeitet.